Wie gewinnt der Mensch für seine Lebensentfaltung die nötigen Mengen an Energie, Stoff und Information, das heißt also „Nahrung” im weitesten Sinne des Wortes? Wie ist die berufliche Existenz des Menschen bio-logisch = lebensfolgerichtig, vom LEBEN her gesehen zu begreifen, dient sie dem Erwerbsleben oder dem Lebenserwerb? Diese Fragen haben mich zu den folgenden grundlegenden Gedanken angeregt.
Der Frühmensch war noch ein Alleskönner, der selbst alle lebenserhaltenden Fähigkeiten perfekt beherrschen musste. Bald lernte er, sich Werkzeuge zu machen, die seine Bemühungen um Nahrung erleichterten, die zugleich seinen Ertrag in immer größerer Fülle steigerten. Diese Werkzeuge sind „künstliche Organe”, die nach Bedarf dem Körper angegliedert werden können. Der Mensch verbesserte sich damit selbst, er vervielfältigte damit seine Leistungsfähigkeit durch Intelligenz und Phantasie!
Ein Jäger ist mit seinen Jagdgeräten und Hunden ein anderes Organisationsgefüge, als ein Fischer mit seinen Angeln, Netzen und Booten. Dies trifft auch nach der Arbeitsteilung und Spezialisierung für einen Schuster, Rechtsanwalt oder Zahnarzt zu. Allen gemeinsam ist der von der Natur entwickelte nackte menschliche Körper. Dieser Nackte könnte in unserer Welt nicht mehr genug Nahrung gewinnen, da durch die Werkzeuge des Menschen eine „künstliche Natur” um uns entstanden ist, in der Instinkte und natürliche Überlebensfähigkeiten nicht mehr wirksam und lebenserhaltend sind. Man hat den Menschen auch mit den Einzellern oder auch mit der Keimzelle verglichen, die nach einem überlieferten Verhaltensmuster (DNS) die verschiedensten Organe und Erwertbsorganisationen im Pflanzen- oder Tierkörper bilden können. Die Eizelle und der Mensch sind Ausgangspunkte für wesentlich größere Leistungskörper. Die Keimzelle errichtet Kunstbauten (= Pflanzen- und Tierkörper) oder kunstvolle Organisationen wie Familien, Gruppen und Gesellschaften. Der Mensch baut Geräte, Städte, Industrien, Staaten.
Aber auch jeder Beruf ist so ein von Menschen geschaffener Leistungskörper, Erwerbskörper oder ein komplexes Organisationsgefüge mit größeren Leistungsfähigkeiten als es der nackte menschliche Organismus sein kann, der eigentlich dahinter steht. Jeder Beruf oder Betrieb arbeitet ähnlich wie biologische Organisationen, die insgesamt auf den Erwerb von Energie, Stoff und Information spezialisiert sind. So wie die Spinne und ihr Netz, so ist auch der Fischer und sein Netz, der Bauer mit Vieh und Hof, der Rechtsanwalt, Arzt oder Architekt mit seiner Praxis einschl. Gerät, Archiv und Mitarbeitern ein Leistungskörper oder auch Berufsmensch. Dieser Berufsmensch will zunächst Nahrung, Vergnügen, wenn er seine Grundbedürfnisse und Triebe mit Luxus und exotischer Kunstfertigkeit mehr als befriedigen kann. In Maßen und Feinabstimmung mit anderen Berufsmenschen nennt man das Kultur.
Die nächsten Integrationsstufen der vom Menschen auf Erwerb und Wachstum ausgerichteten Organisationen, sind die Betriebe mit ihrer übergeordneten Stufe der Volkswirtschaft. Hier wird die Spezialisierung immer weitergetrieben und die gegenseitige Abhängigkeit immer feiner gesponnen.
Der arbeitende Mensch ist damit als Zelle immer abhängiger vom übergeordneten Leistungsgefüge gemacht worden. Vielleicht ist dies der Grund für seine Liebe zur alten aber geopferten Freiheit und Unabhängigkeit. Das Jagen, das Sammeln und Klettern im weitesten Sinne ist uns ein sportliches Vergnügen geblieben. Die gegenseitige Leistungsabhängigkeit treibt dafür ihren Preis ein. Der Mensch muß arbeiten, dienen, er muß seine Arbeitsleistung verkaufen. Manchem gefällt der Trick; statt Leistung nur Lebenszeit gegen Nahrung einzutauschen. Aber er betrügt sich selbst, da er sein Kostbarestes hergibt, ohne die Chance zu nützen, sein Leben sinnvoll zu gestalten und mit Werten zu füllen.
Unsere energie- und leistungshungrigen Organisationen wollen sich immer mehr Leistungswillige dienstbar (-ausbeutungsbar) machen. Als Individuen müssen wir daher unsere Freiräume erkämpfen und verteidigen. Wir brauchen Freiheit zur Entfaltung, Freiräume an Zeit, an Entscheidung und Selbstbestimmung. Wir müssen erkennen: dem Wirtschaftsprozeß sind Zügel anzulegen! Die Beurteilungsmaßstäbe liegen im Maß des Menschen, der die Ausgangszelle für diese Über-Wuchsformen ist. Mit Industrie und Technik sind den übergeordneten Volkswirtschaften ungeheure Energien zugeflossen, die zu einer gigantischen Machtentfaltung an wenigen Schaltstellen führten. Vom ursprünglichen Gewinnen von Energie und Stoff zum Zwecke der Lebensentfaltung sind wir inzwischen weit entfernt. Nach Dr. H. Hass ist die Evolution über die Lebensform Mensch hinausgegangen. Sie setzt sich in den künstlichen Organen des Menschen fort. Aber statt die gewonnene Energie und Leistung wieder in den Lebensprozess zu investieren, wird sie immer stärker in den technischen „Fortschritt” und immer mehr auf Kosten von Leben und Gedeihen eingesetzt. Hieraus wächst Verantwortung.
Wohl dem, der als Berufsmensch seine Erwerbsorganisation noch im Griff hat, der sie nicht gegen das Leben missbraucht, der als Betrieb noch mit echten Lebenswerten handelt, der noch in die Leistungskreisläufe der Natur eingegliedert ist. Wohl dem, der noch nicht an die technokratischen Zwänge so angepasst ist, dass er noch wie die Pflanzen und Tiere aus den Urgründen des Erwerbslebens schöpfen kann, deren Keimzellen ihre Leistungsorgane in ganzheitlicher Abstimmung mit ihrer Mit-und Umwelt aufbauen. Der Mensch als Keimzelle für Überorganisationen muss wieder lernen, seine hochentwickelte Lebenstechnik immer wieder aufs Neue künstlerisch und sensibel aus der Natur, in die Natur, wie die Natur selbst zu gestalten, die nur so überleben kann.